You are here:

Marienrode: Portrait eines Klosters in der Diözese Hildesheim

Dr. Hermann Radvan

 

 

Idyll am Rande der Bischofsstadt

Der Blick auf das Kloster Marienrode bietet auch heute noch eines der schönsten Bilder in der Umgebung von Hildesheim. Eine gotische Kirche, gekrönt von barocker Doppellaterne, und mächtige Konvents- und Wirtschaftsgebäude umrahmen einen weitläufigen Klosterhof, dem Torkapelle und Taubenturm reizvolle Akzente hinzufügen. Äcker, Wald und Wiesenflächen sowie eine Bockwindmühle prägen darüber hinaus das breit umlagernde Klosterareal.

 

Am Anfang war ein Augustinerkloster

Die zisterziensischen Ursprünge des Klosters Marienrode liegen im 80 Kilometer nordöstlich gelegenen Isenhagen. Dieses Kloster war 1243 von der Zisterze Riddagshausen aus gegründet worden. Nach einer Brandzerstörung im Jahre 1259 berief der Hildesheimer Bischof Johann den nun heimatlos gewordenen Konvent von 12 Mönchen mit seinem Abt Thetmar nach No­vale Bacconis. Diesen Namen führte die mönchische Siedlung im Südwesten der Bischofs­stadt seit 1125, nachdem Bischof Berthold ein Kloster mit Klerikern der Kongregation des hl. Augustinus gegründet hatte. Ein ‚unverbesserlicher‘ Lebenswandel der Ordensleute – auch durch die Aufnahme von Nonnen in das Kloster – führte allerdings zu sittlichem Verfall, so­dass der Konvent 134 Jahre nach der Gründung entlassen wurde.

 

Zisterzienser bringen neuen Schwung

Bereits die Augustinerchorherren hatten durch großzügige Hof- und Landschenkungen ihren Besitz vermehren können. Die aus Isenhagen übersiedelte Zisterziensergemeinschaft fand nun in der neuen Region für ihre Lebensform geradezu ideale Bedingungen für ihre Weiterent­wicklung vor. Durch die Großzügigkeit des Bischofs konnten sie ihren Besitz um etliche Hu­fen Land und Wald bis in den Raum Hannover ausdehnen. Es kam zur Anlage eines „neuen Klosterhofes“, einer Grangie. Noch heute trägt der dem Kloster nächstgelegene Ort die Be­zeichnung Neuhof. Das Kloster selbst erhielt den neuen Weihenamen Marienrode im Jahre 1440.

 

 

Zuwachs, Streit und Niedergang

Auch die Mönche von Marienrode leisteten in der landwirtschaftlichen Arbeit Hervorragen­des. Die Bestellung und Bewirtschaftung der vorhandenen und neu gerodeten Flächen ge­schah mit modernsten Methoden, die von den ansässigen Bauern nur bestaunt werden konn­ten. Die Erzeugnisse ihrer Arbeit wurden in den Klosterhöfen von Hildesheim, Hannover, Gronau und Eldagsen angeboten. Es ist verständlich, dass auch der Zisterzienserkonvent von Marienrode durch seiner Hände Arbeit, durch Fleiß und Arbeitsteilung zu Reichtum und An­sehen kam. Im Jahre 1355 konnte er die bedeutendste der Hildesheimer Mühlen, die große Bischofsmühle an der Innerste, in seinen Besitz nehmen. Auch die Pfarrkirchen von Bocke­nem und Alfeld wurden dem Kloster inkorporiert.

 

In der bemerkenswerten Chronik des Abtes Heinrich von Bernten über das Kloster Marien­rode wird über Misswirtschaft, Verfall und das im Jahre 1332 verhängte Interdikt, welches bis zum Jahre 1355 andauerte, berichtet. In der Folgezeit resignierten etliche Äbte. Abt Bernten, der dem Kloster von 1426-1452 vorstand, schildert in seiner Chronik ausführlich, wie das Kloster den Niedergang im 14. Jahrhundert aber durch die Einsetzung fähiger Mönche aus dem Kloster Riddagshausen überwinden konnte.

 

Das Kloster im Spannungsfeld zwischen Bischof und Stadt

Das Verhältnis des Klosters Marienrode zur Stadt Hildesheim und seinem Stadtherren, dem Bischof, war nicht immer von Harmonie geprägt. Nicht selten gab es Auseinandersetzun­gen, wobei die Nutzung von Weideflächen und das Recht der Holzrodung die Anlässe gaben. Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird sogar von wilden Streitigkeiten berichtet. Aus der bereits genannten Bernten‘schen Chronik erfahren wir etwas über einen bösen und heim­tücki­schen Streich, der sich im Jahre 1443 zugetragen hat. Die Hildesheimer Bürger raubten in bewaffnetem Zuge mit einer Wagenkolonne die für den Weiterbau der Kirche zubereiteten Steine, „um ihr tags zuvor teilweise eingefallenes Rathaus wieder aufzubauen“.

 

Der Kirchenbau, ein großes Einweihungsfest und das Verderben im 16. Jahrhundert

Die Klosterkirche zu Marienrode ist die jüngste unter den niedersächsischen Zisterzienserkir­chen. Unter Abt Johannes von Harlessem wurde im Jahre 1412 mit dem Kirchenneubau be­gonnen. Es ist eine kreuzförmige Gewölbebasilika ohne Turm. Über der Vierung erhebt sich ein zweigeschossiger barocker Dachreiter. Über die neun Tage währenden Feierlichkeiten der Teilweihe von 1440 schreibt der Chronist von Bernten: „Der Bischof von Hildesheim war mit Herren des Domkapitels zugegen, natürlich auch Abt Heinrich vom Mutterkloster Riddags­hausen und zwar mit den Äbten von Amelungsborn, Michaelstein und Walkenried, sonstige Standespersonen, zahlreiche Kleriker, Ordensmänner und Ordensfrauen, dazu eine Masse Volks aus der Stadt und der ganzen Umgebung. Da während der festlichen Tage der Zutritt zur Klausur auch Frauen gestattet war, strömte eine gewaltige, von Tag zu Tag derart an­wachsende Menschenmenge herbei, dass eine zusätzliche Pforte durch die Kirchenmauer ge­brochen werden musste. In diesen festlichen Tagen hatte der Abt eine ansehnliche Zahl von Gästen zu bewirten; für die Menge des Volkes boten Händler Speise und Trank nahe dem Kloster feil.

 

Der Westteil der Kirche wurde ab 1449 in verzögerten Bauabschnitten errichtet. Es war das Lebenswerk des Abtes Heinrich von Bernten, der ein Jahr nach der Fertigstellung 1462 ver­starb. Vorbildliche Frömmigkeit, tiefe Dankbarkeit und einen Hang zur exzessiven Verehrung von Reliquien hatte ihn ausgezeichnet. Er wurde in der Vierung der neuen Kirche beigesetzt.

 

Im 16. Jahrhundert erlebte das Kloster unter dem Abt Johann Hane zwischen 1561 und 1586 chaotische Zustände. Um ein verschwenderisches Leben führen zu können, wurden Güter ver­kauft oder verpfändet, darunter die wichtige Bischofsmühle an der Innerste. Ein Leben in Saus und Braus mit Vernachlässigung des Gottesdienstes prägten damals den klösterlichen Alltag. Nach wirtschaftlich schwierigen Zeiten bis in das 17.Jahrhundert hinein gelang dem Kloster jedoch unter der Führung drei aufeinander folgender geistlicher Äbte eine bemerkens­werte Blütezeit.

 

Barocke Bauten prägen das Klosterareal

Das heutige Erscheinungsbild der Klosterhofgebäude spiegelt weitgehend die Baulust des 18. Jahrhunderts wider. Das vielfältige Ensemble von Bauten für den Abt und den Konvent sowie für die Bewirtschaftung des Klosters wurde in der Zeit zwischen 1722 und 1760 errichtet un­ter den Äbten Nivard Bösen (1695-1721) sowie Bernward Kowen (1717-1726) und Edmund Joachim (1726-1748).

 

Die heute noch sichtbaren schmuckreichen Wappen der Äbte in den beiden Westportalen des Konventsflügels erinnern an diese Epoche zusammen mit Chronogrammen, die in einer ge­lehrten Zahlenspielerei die Entstehungsjahre der Bauten erkennen lassen. Die Texte mit der Zeitverschlüsselung enthalten in poetischer Form die Bitte um Schutz und Beistand an die Klosterpatrone. So lautet in verkürzter Form die Übersetzung eines Spruches im nördlichen Portal: „Die klösterlichen Gebäude mögen in Mariens Obhut wohlbeschützt dastehen. Dein Schutz möge die aus den Steinen hervorbrechende Feuersbrunst auslöschen. St. Michael möge die hereinbrechenden Feinde zerstreuen. St. Bernhard breite seinen Mantel über dieses Haus und vertreibe aus seinen Wohnungen alles Unheil. Damit nicht die schreckliche Pest und die grausame Wassersucht beunruhige, mögen der hl. Cosmas und sein Bruder dieses durch die Arzneikunst verhüten.“

 

Die den beiden syrischen Ärzten Cosmas und Damian geweihte Torkapelle war seit dem 15. Jahrhundert eine Wallfahrtsstätte. Sie wurde am westlichen Eingang zum Klosterbezirk 1792 wiedererrichtet, wie eine Inschrift über dem Eingang bezeugt. Die in ihrer früheren Form auf dem Merianstich von 1654 deutlich erkennbare Kapelle dient nach dem Umbau zu einer Saal­kirche seit 1831 der evangelischen Gemeinde als Gotteshaus.

 

Das Ende des Zisterzienserklosters

In den fast 550 Jahren seiner zisterziensischen Existenz war das Kloster im Süden der Stadt Hildesheim von 52 Äbten geleitet worden. Der letzte Abt war ein gebürtiger Hildesheimer, Johannes Günther, geboren 1732. Mit 16 Jahren legte er in Marienrode die Profess ab, 23- jährig wurde er zum Priester geweiht und mit 46 Jahren zum Abt gewählt. Er starb 1809.

 

Durch den Reichsdeputationshauptschluss von Regensburg 1803 wurde das Fürstbistum Hil­desheim dem Königreich Preußen zugesprochen. Da Marienrode unter hannoverscher Herr­schaft stand, entging es zunächst der Aufhebung durch die Säkularisation. Als aber 1805 auch Hannover an Preußen fiel, erging es dem Kloster wie vielen anderen: Es wurde am 12. April 1806 durch den preußischen Kriegs- und Domänenrat Malchus aufgehoben. Der Besitz ging in Staatseigentum über. Zu diesem Zeitpunkt lebten 21 Mönche und vier Novizen im Kloster Marienrode. Sie wurden mit Pensionen abgefunden. Einige übernahmen eine Pfarrstelle, z.B. in Barienrode, Egenstedt, Söhre und Hadersleben.

 

Ein Hauch von Klassik weht nach Marienrode

Eine Gedenktafel an der Mauer gegenüber der einstigen Torkapelle weist auf die vier Gräfin­nen von Egloffstein – Mutter und drei Töchter – hin. Damit wird der Blick auf die Zeit ge­lenkt, in der seit 1818 Carl Freiherr von Beaulieu-Marconnay der Pächter des Klostergutes Marienrode war. Er war verheiratet mit der Gräfin Henriette von Egloffstein, die bereits in jungen Jahren Zugang zum Weimarer „Musenhof“ hatte. Es war ihre zweite Ehe. Mit ihren drei Töchtern folgte sie dem Oberforstmeister und Generalleutnant nach Marienrode, wo sie im Sommer in den Abteigebäuden ihre Wohnung nahmen. Den Winter verbrachte die Familie in Hildesheim.

 

Zwei der drei Töchter gewannen auf Empfehlung der Mutter Anschluss an den Weimarer Mu­senhof, wobei die jüngste, Julie, nach der Bekanntschaft mit Goethe bei ihren Arbeiten als Zeichnerin und Malerin dessen wohlwollende Unterstützung und Kritik erfuhr. Eines der be­kannten Ölgemälde von Julie ist das Portrait ihres Stiefvaters vor der Ostansicht der Kloster­kirche von Marienrode. Das Leben der vier Gräfinnen war jedoch überschattet von Krankheit und Siechtum. Materielle Not bestimmte die letzten Jahre ihres Daseins auf dem Gutshof.

 

Die Gräfinnen von Egloffstein gelten als eifrige Förderinnen der evangelischen Gemeinde Marienrode. Sie setzten sich, ebenso wie der Amtmann Mejer, mit dessen Familie sie das weitläufige Abtsgebäude auf dem Klosterhofe teilten, dafür ein, dass die im Jahre 1792 erbaute Torkapelle in eine evangelische Pfarrkirche umgewandelt wurde.

 

Neue Spiritualität in restaurierten Konventsgebäuden

Der Bischof von Hildesheim war seit 1983 darum bemüht, neue Klöster in seiner Diözese anzusiedeln. Im November1984 erklärte sich die Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard zu Rüdesheim-Eibingen bereit, ein abhängiges Priorat in dem ehemaligen Zisterzienserkloster Marienrode zu errichten. So wurden mit der Klosterkammer Hannover Verhandlungen aufge­nommen und Kloster, Pfarrkirche und Wirtschaftsgebäude von der katholischen Kirche käuf­lich erworben.

 

Eine umfangreiche und aufwändige Restaurierung wurde seit 1986 durchgeführt. Dieses war erforderlich, da durch die Säkularisierung und Aufhebung des Klosters seit 1806 die Kon­ventsgebäude infolge Nutzung als Gutshof erheblich verändert wurden.

 

Es waren insgesamt 14 Wohnungen und die Büroräume des Gutsverwalters eingerichtet wor­den. Wesentliche Teile der Klosterarchitektur wie Kreuzgang, Kapitelsaal und Konvents­räume waren dadurch nicht mehr erkennbar. Die historische Bausubstanz war durch den Einbau von Wänden, Zwischendecken und Schornsteinen in starkem Ausmaß beschädigt worden. Die Baumaßnahmen erstreckten sich von 1986 bis ins Frühjahr 1988. Dabei wurden die für ein Kloster typischen Raumeinteilungen wiederhergestellt. Die Klosterkirche erhielt mit einem Altar aus Baumberger Sandstein, einer Sakramentenstele aus Bronze und einem Bronzekruzifixus von Heinrich Gerhard Bücker auf einem Kreuz aus Mooreiche eine kostbare neue Ausstattung.

 

Nach Unterzeichnung der Gründungsurkunde am 13. November 1985 zogen bereits am 5. Mai 1988 zehn Schwestern des Eibinger Konventes in Marienrode ein. Somit begann nach einer Unterbrechung von 182 Jahren mit der Wiederaufnahme des feierlichen Chorgebetes erneut ein Leben nach der Regel des Benedikt von Nursia. Zehn Jahre später, am 5. Mai 1998, wurde das Kloster zum selbständigen Priorat erhoben.

 

Das Benediktinerinnenkloster in Hildesheim-Marienrode gehört wie die Mutterabtei St. Hil­degard in Eibingen zur Beuroner Kongregation, einem Zusammenschluss von 10 Männer- und 10 Frauenklöstern, die den Namen der Gründerabtei, der Erzabtei St. Martin in Beuron, trägt. Die derzeit 14 Schwestern von Marienrode leiten ein von der Diözese Hildesheim un­terhaltenes Exerzitienhaus, führen eine Buch- und Kunsthandlung und leisten Küster- und Or­ganistendienste in der Pfarrkirche. In der Klosterkirche und auch in der ehemaligen Torka­pelle als jetziger evangelischer Gemeindekirche finden in den Sommermonaten Konzerte, Orgelspiele und Lesungen statt. Einen Höhepunkt bilden dabei die seit einigen Jahren statt­findenden sommerlichen Klosterhofkonzerte.

 

 

 

Literatur

 

Benediktinerinnen- Priorat  Kloster Marienrode

Schnell, Kunstführer Nr. 1953 . Regensburg 1999.

 

Die Diözese Hildesheim

Jahrbuch des Vereins für Geschichte und Kunst im Bistum, Hildesheim, 56 (1988).

 

Finke, Jutta

Freiherr Carl von Beaulieu- Marconnay und das Klostergut Marienrode.

In: Hildesheimer Heimatkalender 2003, Hildesheim 2002.

 

von Jan, Helmut,

850 Jahre Kloster Marienrode.

Hildesheim 1975.

 

Meyer, Wilfried (Hrsg.)

Marienrode, Gegenwart und Geschichte eines Klosters,

Hildesheim 1988.