Ingrid Mansel

Manuskript für Cistopedia, 2007

 

 

Bei notwendigen Bauarbeiten im heutigen Kyffhäusergymnasium II, dem früheren Refektorium des Klosters, der nachmaligen Knabenschule und im 20. Jh. auch Berufsschule, wurde ein mittelalterliches Relief entdeckt. Frau Bärbel Köllen und ich bekamen die Gelegenheit, dieses während der Bauarbeiten zu betrachten. Da es ein wirklich sehr primitiv und grob gestaltetes Bildwerk ist, fühlten wir uns in die Zeit um 1215 zurückversetzt, als das Frankenhäuser Zisterzienserinnenkloster St. Georgii von dem Grafen Friedrich III. von Beichlingen, dem damaligen Besitzer der Stadt Frankenhausen, gestiftet worden war. Über die Klostergeschichte gibt es so gut wie keine schriftlichen Überlieferungen. Also versuchten wir, das stark mitgenommene Bildnis zu enträtseln. Was sollte das unter den Füßen der Figur sein, eine Schlange? Der mittig angeordnete Kreis ein Kopf? Trug die Figur ein Kreuz oder? Plötzlich der Gedanke, da windet sich ein Drachen. Dann könnte es sich um den Schutzpatron des Klosters, den Heiligen Georg, handeln und das Kreuz ein Schwert sein. Er tritt als Drachentöter auf den sich krümmenden Drachen und stößt mit seinem Schwert, das er in beiden Händen hält, in Richtung Drachenkopf.

Ritter St. Georg ist ein katholischer Heiliger, nach der Legende ein kappadokischer (heute Türkei) Prinz (4. Jh.); in der Kunst seit dem 12. Jh. als Drachentöter dargestellt. Sein Bild ist auf Wappen und Fahnen verwendet worden.

 

Diese hypothetischen Gedanken ließen mir jedoch keine Ruhe, einmal weil wir in der Anfangseuphorie die Jahreszahl 155... (1555 bei Müldener oder 1557 bei Lehfeldt) , welche den Schülern bereits aufgefallen war, ignoriert hatten. In diesem Falle hätte unsere Deutung keinen Sinn mehr, weil zu dieser Zeit das Kloster bereits säkularisiert war. Zum anderen aber, weil ich mich erinnern konnte, bereits in meinen Unterlagen etwas über Inschriften und Bildwerke in dem Gebäude des heutigen Gymnasiums II gelesen zu haben; ich suchte also und wurde fündig im

 

„Frankenhäusischen Intelligenzblatt“ Jg. 117. (1881), S. 152

 

Frankenhäuser Inschriften (auszugsweise)

 

... Hierdurch werden wir benachrichtigt, ... dieses sehr alte Gebäude (heutiges Kyffhäusergymnasium II), welches ehemals den Jungfrauen des Cistercienzer-Ordens gehörte, aber 1552 den Musen geweiht worden war, ... 1743 repariert worden sei. Diese Reparatur wurde im November 1742 begonnen. Es ward, wie wir in Müldener’s Chronik des hiesigen Nonnenklosters lesen, dieses Schulgebäude ganz und gar repariert, von außen mit Kalk überzogen und mit neuen Fenstern, auch anderen nötigen Sachen ... versehen.

- Treten wir in das Haus selbst ein, so gewahren wir rechter Hand im unteren Zimmer, dem ehemaligen Speisesaale der Nonnen, an der Wandseite nach der Unterkirche zu ein in Stein gehauenes Bild, welches das Christkind mit dem Glorienschein, in der rechten Hand ein Kreuz ohne Spitze und in der linken den Reichsapfel haltend und auf eine sich windende Schlange tretend, darstellt. Um das Bild laufen vom Beschauer aus von links nach rechts die Worte:

... natus est nobis et filius datus est nobis, cujus imperium in humerum ejus. Esaiae 9, Deus ipse veniet et salvabit nos. Esa. 35. Am unteren Rande des Bildes liest man die Worte: An. Werle. Diaconus. 1555 (? – dieses Fragezeichen macht der Verfasser von 1881, I. M.!). – Ich vermute, dass ein Diaconus Anton Werle dieses Bild als Zimmerschmuck für die neuerichtete Schule zum Andenken an den am 25. September 1555 geschlossenen Religionsfrieden zu Augsburg hat anfertigen lassen. Die Stellen Jesaias 9,6 und 35,4 passen zu dieser Annahme. „ - Zitat-Ende, Verfasser Lehrer Kirchner. (Johann Friedrich Müldener, Stadtsyndicus und Stadtchronist, lebte von 1715-1766 in Frankenhausen, I. M.)

 

 

Ich habe die Ausführungen des Lehrers Kirchner untersetzt durch:

 

Bibelzitate zu obiger Auslegung der Umschrift am Bildwerk:

 

Jesaja Kapitel 9 behandelt des Messias Geburt ....“Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht; und über die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“

 

Jesaja 9,6: auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und in seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.

 

Jesaja Kapitel 35 behandelt die Zeit des Heils nach überstandenen Leiden: „Aber die Wüste und Einöde wird lustig sein, und das dürre Land wird fröhlich stehen und wird blühen wie die Lilien.“

 

Jesaja 35,4: Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Sehet, euer Gott, der kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.

 

Die Direktorin des Kreisheimatmuseums, Frau Renate Weinert, welche zuvor zu Rate gezogen worden war, hat bei Professor Lehfeldt nachgeschlagen und dort nachstehenden Hinweis mit Beschreibung obigen Reliefs gefunden. Prof. Lehfeldt war im Jahre 1889 im Auftrag des Schwarzburgischen Fürstenhauses unterwegs, um die Bau- und Kunstdenkmale im Fürstentum zu begutachten und gilt als äußerst kompetenter und akribischer sowie besonders kritischer Experte. Er schreibt:

 

„ ... – Weniger geschmackvoll ist eine innen in den Fensterpfeiler vermauerte Gedenktafel mit der im Rundbogen herumlaufenden Umschrift: ... NATVS EST NOBIS ET FILIVS DATVS EST. NOBIS CVIVS. IMPERIVM … HVMERVM EIVS ESAIAE 9. DEVS IPSE VENIET SALVABIT NOS ESA. 31. - ANWERLE DIACONVS ANNO DOMINI 1557 

 

um die äusserst misslungene Relieffigur des nackten Christkindes, welches, mit Kreuz und Reichsapfel in den Händen, die Schlange zertritt. Sandstein.“

 

Weitere Hinweise auf Inschriften

 

J. F. Müldener hat des weiteren nachstehende Inschriften bewahrt, die sich an bzw. in o. g. Hause befinden bzw. befinden sollen, wovon die nächste auch von Prof. Lehfeldt erwähnt wird:

 

Zitate:

 

Inschrift. „Diese befindet sich an der vormaligen Knabenschule (heute Kyffhäusergymnasium II) rechts an der Hausthür und lautet:

Nicolaus Clausen et Christophorus Knawer coss. f. c. anno Do. 1552

(diese ist heute an der Nordseite des Gebäudes zu finden, I. M.)

 

Sie will daran erinnern, dass, nachdem 1551 die Nonnen das Kloster verlassen hatten, dieses Gebäude, welches den Speisesaal und andere Klosterräume enthielt, unter den Bürgermeistern Nicol Clausen und Christoph Knauer zu einer höheren Knabenschule mit 5 Classen eingerichtet worden ist im Jahre 1552.“

 

Links an der Thür befindet sich die

 

Inschrift. “Sub auspiciis Serenissimi Princip. ac. „Dni. Friderici Antoni Princip. Schwartzb. aedificium hoc pervestutum olim virginib. ex ord. Cisterc. ao. MDLII vero musis sacratum perficiendum curarunt coss. Joa. Günther Heydenreich. Casp. Elias Müldener ao. MDCCXLIII. –

 

Hierdurch werden wir benachrichtigt, daß unter der Regierung des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Friedrich Anton, Fürsten von Schwarzburg, dieses sehr alte Gebäude, welches ehemals den Jungfrauen des Cistercienzer-Ordens gehörte, aber 1552 den Musen geweiht worden war, durch die Fürsorge der Bürgermeister Joh. Günther Heydenreich und Caspar Elias Müldener (Vater des Syndicus) 1743 repariert worden sei.“

 

Inwieweit ein in Gedichtform gefasster Bericht von Paul Schröder über ein Marienbildnis ins Reich der Legende zu verweisen ist, bleibt m. E. noch offen. Paul Schröder, der bis 1931 in Frankenhausen lebte und arbeitete, hat als Malermeister gewiss in vielen Räumlichkeiten der Stadt zu tun gehabt und sie dabei erforscht.

 

 

Der Marienstein

 

Paul Schröder

 

Gehst du mal ins alte Kloster, in das Refektorium,

sieh dich nach dem Wundersteine, der noch dort zu sehn ist, um.

Arg verwittert und zerfallen stellt er die Maria dar,

und es hieß in frühren Zeiten, dass er wundertätig war.

 

Ja, es mag auch wunderbarlich mit dem Stein gewesen sein,

denn wenn gute Zeiten waren, lieblich rot ward da der Stein,

doch wenn Krieg und Unheil drohten, wußte man es ganz genau:

es verblaßt’ die schöne Farbe und das Bildnis wurde grau.

 

Viele Tausend sind gezogen, gläubig nach dem Wunderstein,

Und die braven Nonnen heimsten manchen blanken Groschen ein.

Aber als man einst im Kloster ganz vergaß des Herrn Gebot,

wurde trotz der schlimmen Zeiten das Marienbildnis rot.

 

Ob es sich der Nonnen schämte, die es gar zu toll getrieben,

das ist bis zum heut’gen Tage noch unaufgeklärt geblieben.

Manch Jahrhundert ist verflossen und die Nonnen sind längst tot,

aber schau, noch heute schimmert das Marienbildnis rot.

 

 

Phantasie eines seinerzeit als Spaßvogel bekannten Stammtischbruders oder ...? - An den Pfeilern der Memlebener Kirchenruine werden die dort aufgebrachten Wandzeichnungen auch nur bei besonderer Witterungssituation (Feuchtigkeit, usw.) sichtbar, was man früher als großes Wunder ansah.

 

 

Und wer kann sicher sein, dass nicht auch dieser Marienstein eines Tages wieder zum Vorschein kommt, weil er ebenso unter Putz (wahrscheinlich in den zwanziger Jahren vorigen Jahrhunderts) verschwunden ist wie das im Januar 2004 wieder aufgefundene Relief im ehemaligen Speisesaal der Nonnen?

 

Auch wenn dieses Sandsteinbildnis nicht aus der Erbauungszeit des Klosters stammt und sein künstlerischer Wert eher gering erscheint, so ist es doch mit seinen bald 500 Jahren allemal ein historisches Zeugnis aus der durch Dokumente kaum belegten Geschichte des Klosters und seiner Abwicklung nach der Säkularisierung.